LiveHörSpielReihe mit BeinaheBestsellern
theater konstellationen / sophiensaele Berlin
In der Literaturveranstaltungsreihe „Hätte klappen können“ kommen literarische Neuerscheinungen zu Wort, die noch keine Bestseller sind – aber es werden sollten. Aus einem von LiteraturkritikerInnen und LektorInnen empfohlenen Stapel an Büchern werden Auszüge, Klappentexte und Rezensionen der letzten Monate miteinander verwoben und in einem szenischen Reader's Digest zwischen Hörspiel und Lesung mit Live-Musik präsentiert.
Premiere am 22. April 2009
von und mit Simon Bauer, Tina Kemnitz, Jonas Knecht, Marc Lippuner, Ulrike Schneider und Martin Wehrmann
Literarisch oszillierend zwischen Emily Dickinson, Männern im Schatten einer Diva und gescheiterten Kunstmalern hätte es in Folge 1 der szenischen Lesereihe klappen können mit dem Ruhm, um somit den ausgewählten Büchern ein bisschen von dem zu geben, was ihren literarischen Figuren verwehrt blieb, aber doch allen zu wünschen ist.
Premiere am 10. Juni 2009
von und mit Simon Bauer, Tina Kemnitz, Jonas Knecht, Marc Lippuner, Ulrike Schneider und Martin Wehrmann
Literarisch oszillierend zwischen alten Wundern und neuen Krisen hätte es in der zweiten Folge der literarischen Lesereihe klappen können mit dem Traum vom wirtschaftlichen Aufschwung, dem immer währenden Geldregen, dem Aufbau Ost und der glücklichen Wiedervereinigung: Hier trifft die pfiffige Ostfrau auf den arroganten Westmann, der DAX auf den historischen Tiefpunkt und Alfred Herrhausen auf die RAF.
von und mit Simon Bauer, Tina Kemnitz, Jonas Knecht, Marc Lippuner, Ulrike Schneider und Michael F. Stoerzer
Knisterndes Kaminfeuer, lodernde Leidenschaften, erloschene Hoffnungen: Literarisch oszillierend zwischen rotwangigen Schwärmereien und aschgrauem Alltag hätte es in der dritten Folge der Literaturreihe - unserer Vorweihnachtsausgabe - klappen können mit der Liebe. Ein Abend über die Zustände & Abgründe zwischen Mann und Frau und Mann und Mann und Mutter und Kind, über die Liebe zum Ungarischen im Allgemeinen und zu blasshäutigen Ungarinnen im Besonderen, zur religiösen Kunst, zum italienischen Film und zum sehnsuchtsvoll geschriebenen Wort.
Hätte auch schiefgehen können. Das wäre ein alternativer Titel gewesen für ein Konzept, das Elemente aus dem Kammertheater mit Motiven aus Literaturfernsehsendungen vermischt. Denn literarische
oder essayistische Texte zielen darauf ab, im Kopf des Lesers und der Hörerin zu entstehen - den Bedingungen der Bühne gehorchen sie nicht unbedingt von allein. Doch die Gruppe, die sich "theater
konstellationen" nennt, löste dieses knifflige Problem virtuos. Geschickt zwängte sie die Masse an Text in das Gerüst eines Themas, das "Wirtschaftswunder" lautete; und sie nutzte spielerisch das
sich daraus ergebende Ableitungspotenzial.
Da gab es den Bericht einer Hamburger Taxifahrerin auf ihrer grotesken Jagd nach Kleinstgewinn (Karen Duves Roman "Taxi"), Originalzitate Alfred Herrhausens zur Möglichkeit der Finanzierung eines
wiedervereinigten Deutschlands (aus der Biografie von Andreas Platthaus), scharlatanistisches Geschwätz von Londonern Brokern ("Cityboy" von Geraint Anderson): All diese Stimmen gerannen zu einem
Konzentrat aus Gegenüberstellungen unterschiedlicher Perspektiven auf das ökonomische System. Heil und Weh des Geldes. Hoffnung, Hybris, Bilanz und Kollaps als Vergleich. Aber die Formatierung
durch das Thema war nicht der einzige gelungene Trick des Abends.
Dass die Darsteller die ganze Zeit über an einem langen Tisch saßen und in ihre Mikros sprachen, erwies sich eben nicht als Ausdruck der Einfallslosigkeit, sondern als maximale Ausnutzung
reduzierter Mittel. So musste man auf der Bühne einfach das übergeordnete Bild einer Konferenz sehen, an dem nichts anderes verhandelt wurde als die Illusion von der Lenkbarkeit des Geldes. Und
dass nicht nur brav Text zitiert wurde, sondern die einzelnen Fragmente beinahe in ein Figurenmuster auf- oder in gut dosierte Improvisationen übergingen, offenbarte, dass es sich hier um eine
Methode aus dem Geist der Collage handelte.
So entkommt die Gruppe um Simon Bauer, Tina Kemnitz, Jonas Knecht, Marc Lippuner, Ulrike Schneider und Martin Wehrmann der Falle einer gut gemeinten, jedoch im Kern fragwürdigen Vermittlung von
Literatur eben durch ihre theaterorientierte Handhabung des Stoffes. Was man da sah, war ein eigenes Stück - und kein Bestsellerratgeber. Das war auch das Schöne daran, dass ein schwer zu
fassendes Element in den unterschiedlichen literarischen Konzeptionen durch die Inszenierung deutlich sichtbar wurde. Nämlich die Nähe von Geld und Sprache. Anders ausgedrückt: die Überschneidung
der Affektgeladenheit bei Kommerz und Kunst, das ironische Lächeln der klingenden Münze. Dass dabei die Schauspieler nicht Comedy machten, sondern in ihre zwitterhaften Rollen aus Vorlesern und
angedachter Figur schlüpften - und sich offensichtlich wohl fühlten -, war deutliches Indiz, dass das Konzept aufgegangen war.
_taz (Manuel Karasek), 13. Juni 2009 (Auszug)